ME/CFS Forschungs-Update – Teile 1-5

Wir berichten auf Basis der Daten des ME/CFS Research Registers über die laufende Forschung. Dieses ME/CFS Forschungs-Update wird nach und nach ergänzt, um Betroffenen, Angehörigen und Interessierten einen Einblick in die aktuelle Forschungslandschaft zu geben.

Update am 25.04.2024: Teil 5 mit Daten zu den forschenden Arbeitsgruppen veröffentlicht.

Wir beginnen mit Daten zur ME/CFS Forschung in Deutschland und Österreich. Die ME/CFS Forschungsprojekte beider Länder sind in der aktuellen „beta Version“ des vor kurzem vorgestellten ME/CFS Research Registers vollständig erfasst und werden laufend aktualisiert.


Wer dieses ME/CFS Forschungs-Update als PDF lesen oder ausdrucken möchte (z.B. um es offline weiter zu geben), kann sich die aktuelle Version (Teile 1-4) hier herunterladen:


Teil 1: ME/CFS Forschung nimmt langsam Fahrt auf (veröffentlicht 01.03.2024)

Die Daten des ME/CFS Research Registers zeigen den deutlichen Anstieg der Forschungsintensität seit 2022. Die seitdem erstmals verfügbaren, öffentlichen Fördermittel für ME/CFS Forschung (auf Bundes- und teils auf Landesebene) haben eine Reihe zuvor nicht realisierbarer Projekte ermöglicht.

Die meisten der aktuell 42 laufenden Forschungsprojekte wurden in den Jahren 2022 und 2023 begonnen. Dazu zählen z.B. die 11 Projekte der NKSG – Nationale Klinische Studiengruppe im Bereich der klinischen Forschung sowie die fünf Projekte der IMMME – Immune Mechanism of ME Grundlagenforschung (finanziert durch das BMBF, Bundesministerium für Bildung und Forschung). Vier weitere Projekte wurden durch andere öffentliche Träger ermöglicht. Zusätzliche Forschung wird über private Stiftungen und Patientenorganisationen finanziert.

Bereits angekündigte öffentliche Fördermittel werden ab ca. Mitte 2024 weitere neue Forschungsprojekte und eine Fortsetzung laufender Initiativen, z.B. der NKSG, ermöglichen. Dadurch entsteht eine gute, aber auch längst überfällige Dynamik in der ME/CFS Forschung in Deutschland. Denn ME/CFS ist ein medizinisches Forschungsfeld, dass global betrachtet von einem erheblichen Rückstand im Vergleich zu anderen Erkrankungen gekennzeichnet ist. Das betrifft sowohl den Umfang verfügbarer Fördermittel als auch die Zahl der bisher aktiv beteiligten Forschenden und Arbeitsgruppen. Durch die wachsende Bedeutung postinfektiöser Erkrankungen im Zuge der COVID-19-Pandemie erfährt auch die ME/CFS-Forschung eine erhöhte Aufmerksamkeit und seit Ende 2021 vermehrt Förderung durch öffentliche Mittel.

Diese Entwicklung wird die ME/CFS Research Foundation mit dem öffentlich zugänglichen ME/CFS Research Register transparent machen und ergänzend regelmässig aktuelle Daten über die ME/CFS Forschung veröffentlichen. Neben der finanziellen Projektförderung ist das ein wichtiger Beitrag, um die ME/CFS Forschung zu unterstützen.


Teil 2: Wie verteilen sich die ME/CFS-Projekte auf unterschiedliche Forschungstypen? (veröffentlicht 28.03.2024)

In Deutschland und Österreich wurden bzw. werden insgesamt 61 Forschungsprojekte seit 2019 durchgeführt. Diese verteilen sich von der Anzahl her recht gleichmäßig auf die drei Forschungstypen (research types):

  • Grundlagenforschung (24 Projekte)
  • Epidemiologische Forschung (19 Projekte)
  • Klinische Forschung (18 Projekte)

Dabei ist anzumerken, dass klinische Forschungsprojekte i.d.R. sehr viel höhere finanzielle Budgets erfordern als Grundlagen- oder epidemiologische Forschung. Betrachtet man die Forschungstypen aus Sicht der jeweils anfallenden Kosten, so machen Projekte im Bereich der klinischen Forschung anteilsmäßig den Großteil des finanziellen Aufwandes aus.

Von den 18 klinischen Forschungsprojekten sind neun Projekte in den Bereichen Diagnostik und Prognostik vertreten. Drei dieser Projekte sind bereits abgeschlossen. Weitere neun Projekte befassen sich mit der Erforschung möglicher Therapien von ME/CFS in Form von Therapie- oder Phase-II-Studien. Dazu zählen z.B. Studien zu MethylprednisolonBC007Hyperbare Sauerstofftherapie (HBOT)Vericiguat und mehrere Studien zu Immunadsorption. Aktuell sind alle klinischen Studien zur Therapieentwicklung noch im Prozess der Durchführung.

Im ME/CFS Research Register sind alle 61 Projekte detailliert beschrieben und mit den beteiligten Arbeitsgruppen, Forschenden und weiteren Informationen verlinkt. Alle Projekte sind Forschungstypen (research types) zugeordnet, die ebenfalls im Register erläutert werden. Zum Beispiel die hier differenzierten Subtypen klinischer Studien:

  • Diagnostik-Studien zielen darauf ab, die Genauigkeit eines diagnostischen Tests oder einer Methode bei der Identifizierung einer Erkrankung zu bewerten. So können neue Biomarker auf ihre diagnostische Eignung untersucht werden. 
  • Prognostik-Studien hingegen untersuchen diagnostische Methoden mit Blick auf ihre Vorhersagekraft was eine Verbesserung oder Verschlechterung einer Erkrankung im Zeitverlauf oder nach einer Therapie betrifft. Über sie lässt sich ermitteln, welche Biomarker und Diagnosemethoden möglicherweise vorhersagen können, ob eine Therapie erfolgversprechend ist.
  • Beobachtende Therapiestudien dienen dazu, erste Erkenntnisse zur Wirkung von Therapiemaßnahmen zu generieren. Therapie-Studien sind an die individuellen Bedürfnisse der Patient:innen angepasst und folgen keinem strengen Studienprotokoll. 
  • Interventionelle klinische Studien, z.B. sog. Phase-II-Studien, folgen einem strengen Protokoll und beinhalten auch Patient:innen, die mit einem Placebo behandelt werden, um Scheineffekte zu untersuchen. Phase-II-Studien umfassen zudem eine größere Anzahl von Patient:innen und bewerten die Wirksamkeit der Behandlung sowie mögliche Nebenwirkungen gemäß einem für alle Patient:innen einheitlichen Vorgehen.

Teil 3: Mit welchen medizinischen Themenbereichen befasst sich die ME/CFS-Forschung? (veröffentlicht 09.04.2024)

Ergänzend zur Verteilung der Projekte auf die Forschungstypen (research types), also Grundlagen-, epidemiologische und klinische Forschung (vgl. Teil 2 oben), werden alle Projekte im ME/CFS Research Register auch nach Forschungsbereichen (research areas) differenziert. Forschungsbereiche umfassen Organe, Körpersysteme und Gesundheitsfaktoren, die im Zusammenhang mit dem Auftreten von ME/CFS erforscht werden. Diese Zuordnung erlaubt die gezielte Suche von Forschungsprojekten im ME/CFS Research Register nach thematischen Schwerpunkten (z. B. „autoimmunity“ oder „nervous system disorder”). Dabei ist zu beachten, dass Projekte i.d.R. mehreren Forschungsbereichen zugeordnet sind, wodurch sich eine Mehrfachzählung in der u.a. Auswertung ergibt (die Summe der Projekte in den Forschungsbereichen in der Abbildung ist deshalb höher als die 61 bisher im Register aufgeführten Forschungsprojekte).

Der Forschungsbereich Allgemein (general) ist mit 25 Projekten am häufigsten vertreten. „General“ wird als Begriff vergeben, wenn sich die Forschungsarbeit nicht auf bestimmte Körper- oder Organsysteme beschränkt. Darunter fallen u.a. Projekte, die sich mit der Versorgung von Patient:innen (patient care), Biobanking (biobank), allgemeinen Risikofaktoren (risk factors) oder Untersuchungen von Proteom (proteomics) und Transkriptom (transcriptomics) befassen. Vor allem Projekte aus der epidemiologischen Forschung sind „general“ zugeordnet (17 Projekte), neben Projekten aus der klinischen Forschung (3) und Grundlagenforschung (5). Wie oben beschrieben können einzelne Projekte gleichzeitig auch noch weiteren Forschungsbereichen zugeordnet sein.

Neben Allgemein („general“) gehören die Forschungsbereiche immunologische Dysfunktion (immunological dysfunction) (17 Projekte, davon 11 in der Grundlagen- und 6 in klinischer Forschung) und kardiovaskuläre Dysfunktion (cardiovascular dysfunction) (14 Projekte) zu den in Deutschland und Österreich bisher am häufigsten untersuchten Bereichen in der ME/CFS-Forschung. 

Forschungsprojekte befassen sich bisher außerdem mit der Rolle von Infektionen (infections), dem Einfluss eines gestörten Ernährungs- und Stoffwechselsystems (nutritional and metabolic system disorder) sowie Störungen des Nervensystems (nervous system disorder). Weniger Projekte befassen sich bisher mit Störungen des Blut- und Lymphsystem (hemic and lymphatic system disorder), der psychischen Gesundheit (mental health), einem gestörten Bewegungsapparat (musculoskeletal system disorder) oder genetischen Risikofaktoren (genetic risk factors) bei ME/CFS.

Im ME/CFS Research Register sind bisher 82 medizinische Forschungsbereiche gelistet. Die im Register verwendeten Begriffe wurden in Anlehnung an die MeSH-Terminologie (Medical Subject Headings) des National Institutes of Health (NIH) sowie basierend auf ausgewählter Literatur erstellt. Für jeden der zugeordneten Begriffe der Forschungsbereiche ist eine Kurzbeschreibung mit einem Verweis zur jeweiligen Quelle aufgeführt. Eine umfassende und systematische Übersicht der im ME/CFS Research Register verwendeten Forschungsbereiche und deren Zuordnung bzw. Hierarchie untereinander wird zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht.


Teil 4: Wann ist mit Ergebnissen der Therapie- und Phase-II-Studien zu rechnen?  (veröffentlicht 16.04.2024)

Die Erforschung möglicher Behandlungsansätze, die auf die ME/CFS zugrunde liegenden Krankheitsmechanismen abzielen, ist von entscheidender Bedeutung für die langfristige Verbesserung der Versorgungssituation der Patient:innen. Bislang liegen nur sehr wenige Daten aus der Forschung in Form klinischer Studien zur Therapie von ME/CFS vor. Im Zuge des Auftretens von Long COVID bzw. Post-COVID-Syndrom wurden seit 2022 mehr finanzielle Mittel aus öffentlicher Hand zur Verfügung gestellt, um so auch das Wissen über mögliche Behandlungsansätze für ME/CFS zu erweitern.

Wie im obigen Teil 2 erläutert, werden in Deutschland derzeit neun klinische Studien zur Erprobung biomedizinischer Behandlungsansätze für ME/CFS umgesetzt. Fünf davon sind sog. Therapie-Studien. Weitere vier Studien sind sog. Phase-II-Studien, von denen drei im Rahmen des Forschungsverbundes Nationale Klinische Studiengruppe (NKSG) und eine als Teil des Forschungsverbundes COVID-19 Forschungsnetzwerk Niedersachsen (COFONI) durchgeführt werden. Die Ergebnisse dieser Studien werden ab Ende 2024 und überwiegend im Laufe des Jahres 2025 erwartet (siehe Abbildung).

Gegen Ende 2024 ist mit Ergebnissen der Phase-II-Studie zu Vericiguat (1: VERI-LONG) zu rechnen. Anfang 2025 folgen die Ergebnisse der Therapie-Studien zur wiederholten Immunadsorption (2: RIA) und zur transkraniellen Gleichstromstimulation (3: ACTIVATE), sowie die Ergebnisse der Phase-II-Studien zur Immunadsorption (4: IA-PACS-CFS) und zu Methylprednisolon (5: PoCoVIT). Mitte 2025 stehen die Ergebnisse einer weiteren Phase-II-Studie zur Immunadsorption (6: EXTINCT post COVID) an. Ende 2025 folgen Ergebnisse der Therapiestudien zur Hyperbaren Sauerstofftherapie (7: HBOT) und zur Immunadsorption mit jungen Patient:innen (8: BIAKI). Für die Therapiestudie zu BC007 (9: unCOVer) liegen noch keine Informationen zum geplanten Abschlussdatum vor. Anmerkung: diese geplanten Abschlusstermine sind als grobe Orientierung zu verstehen. Aus verschiedenen Gründen können die tatsächlichen Abschlusstermine von diesen Daten abweichen.

Bis Ende 2025 werden so voraussichtlich erste Daten zur Wirksamkeit von fünf potentiellen Therapien für ME/CFS vorliegen, darunter Ergebnisse aus drei Phase-II-Studien (randomisiert, placebo-kontrolliert). Um prüfen zu können, wie umfangreich und nachhaltig die untersuchten Verfahren und Medikamente ME/CFS-Betroffenen potenziell helfen können, bedarf es weiterer kontrollierter klinischer Studien mit einer größeren Anzahl von Proband:innen (Phase-II bis –III-Studien). Bei den klinischen Studien zur Therapieentwicklung, die im Rahmen der NKSG durchgeführt werden, sind aufgrund umfassender begleitender Diagnostik- und Biomarker-Studien zudem weiterführende Erkenntnisse zu erwarten. 


Teil 5: Wie viele Arbeitsgruppen forschen zu ME/CFS?  (veröffentlicht 25.04.2024)

An den ME/CFS-Forschungsprojekten sind insgesamt 39 Arbeitsgruppen (working groups) beteiligt, davon 35 in Deutschland und 4 in Österreich. Diese Arbeitsgruppen verteilen sich auf insgesamt 20 verschiedene Organisationen, darunter Universitäten, Universitätskliniken und Forschungszentren. Arbeitsgruppen  in der medizinischen und wissenschaftlichen Forschung (auch genannt Labore oder “Labs”) sind Gruppen von Personen, die unter der Leitung von Expert:innen auf ihrem Gebiet zu bestimmten Themen forschen und an mindestens einer Organisation (z.B. Universitätsklinik) verortet sind.

In Deutschland sind 18 der 35 Arbeitsgruppen, die sich mit ME/CFS-Forschung beschäftigen, an der Charité – Universitätsmedizin Berlin und angeschlossenen Forschungseinrichtungen angesiedelt. Dazu zählen das Berliner Institut für Gesundheit (BIH) und das Max-Delbrück-Centrum (MDC). Weitere Arbeitsgruppen sind beim Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), der Berlin School of Mind and Brain, dem Helmholtz München und dem Max-Planck-Institut in Erlangen angesiedelt. Die übrigen Gruppen sind an den Universitätskliniken in Aachen, Erlangen, Freiburg, Lübeck und München sowie an den Universitäten in Heidelberg, München, Regensburg und Würzburg angesiedelt. 

Von insgesamt vier Arbeitsgruppen, die sich in Österreich mit der Erforschung von ME/CFS befassen, sind zwei an der Medizinischen Universität Wien und je eine an der Medizinischen Universität und der FH Joanneum in Graz angesiedelt.

Alle an ME/CFS forschenden Arbeitsgruppen (working groups) sind mit Beschreibung und Verlinkung auf die einzelnen Forschungsprojekte im ME/CFS Research Register hinterlegt.


Wie geht es weiter?

In den noch folgenden Teilen des ME/CFS Forschungs-Update werden wir u.a. auf folgende Fragen eingehen:

  • Wie sind die Arbeitsgruppen der ME/CFS Forschung untereinander vernetzt?
  • Wie viel wurde und wird zu ME/CFS in Deutschland und Österreich publiziert?

Die Daten zu diesen Fragen werden auf Basis des ME/CFS Research Register in den nächsten Wochen veröffentlicht.


Wie kann man die Arbeit der ME/CFS Research Foundation unterstützen?

Vor uns liegt noch ein weiter Weg bis Diagnose, Versorgung und Therapie von ME/CFS Betroffenen eines Tages medizinischer und sozialer Standard werden. Wir als ME/CFS Research Foundation fokussieren uns auf die biomedizinische Forschung, in der wir das Schlüsselelement zur Lösung dieser Probleme sehen (mehr dazu in unserer Förderstrategie). Dafür brauchen wir umfassende Unterstützung von privaten Spendenden – Betroffene, Angehörige, Familien, Freunde, Vereine, Schulen, Netzwerke, Unternehmen, Initiativen, Veranstaltende und alle Unterstützenden. Und wer nicht direkt fördern kann, kann unsere Story teilen und so andere motivieren zu helfen. Denn nur gemeinsam ist so ein Kraftakt möglich.

Wir überführen Spenden und sonstige Unterstützung vollständig in wissenschaftlich exzellente Forschung, Vernetzung und schließlich sichtbare Erfolge, d.h. bessere Diagnostik und Therapien. Dabei arbeiten wir mit anderen Organisationen und Initiativen gerne zusammen – kommen Sie auf uns zu! 

Wir freuen uns über jede Unterstützung!

Registrieren Sie sich auch für unseren Newsletter:

Und bitte vergrössern Sie unsere Reichweite und folgen uns:

Weitere Artikel

de_DEGerman