Dieses Update fasst den bisherigen Stand der ME/CFS-Forschung in Deutschland und Österreich auf Basis der Daten des ME/CFS Research Registers zusammen und wurde seit März 2024 schrittweise veröffentlicht, um Betroffenen, Angehörigen, Mediziner:innen, Forschenden und der allgemeinen Öffentlichkeit einen besseren Einblick in die Forschungslandschaft zu geben.
Das ME/CFS Research Register listet erstmals alle Forschungsprojekte in den beiden Ländern seit 2019 auf. Das Register wurde im Februar 2024 veröffentlicht und wird laufend aktualisiert und demnächst auf weitere Länder erweitert. Die hier gezeigten Daten und Analysen beziehen sich auf den Stand des Registers vom Juli 2024 bzw. zum angegebenen Datum der Grafiken.
Letztes Update vom 12.09.2024: Zusammenfassung der bisher veröffentlichten Teile 1-7 und Ergänzung um ein Fazit und Ausblick auf die erwartete Entwicklung der ME/CFS-Forschung.
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Übersicht der Kapitel:
- Ausgangslage und aktuelle Entwicklung
- Teil 1: ME/CFS Forschung nimmt langsam Fahrt auf
- Teil 2: Wie verteilen sich die ME/CFS-Projekte auf unterschiedliche Forschungstypen?
- Teil 3: Mit welchen medizinischen Themenbereichen befasst sich die ME/CFS-Forschung?
- Teil 4: Wann ist mit Ergebnissen der Therapie- und Phase-II-Studien zu rechnen?
- Teil 5: Wie viele Arbeitsgruppen forschen zu ME/CFS?
- Teil 6: Wie sind die Arbeitsgruppen der ME/CFS Forschung untereinander vernetzt?
- Teil 7: Wie viele Fachpublikationen wurden zu ME/CFS in Deutschland und Österreich bisher veröffentlicht?
- Teil 8: Zusammenfassung und Ausblick:
- Zusammenfassung: Wo steht die ME/CFS-Forschung heute?
- Ausblick: Wie wird sich die ME/CFS-Forschung in naher Zukunft entwickeln?
Ausgangslage und aktuelle Entwicklung
Die Erforschung der schweren Multisystemerkrankung ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis / Chronisches Fatigue Syndrom) wurde jahrzehntelang vernachlässigt. Die Krankheit wurde bereits 1969 von der WHO klassifiziert. Bis vor kurzem gab es dennoch kaum Forschungsprojekte und nur wenige Forschende und Arbeitsgruppen, da es weltweit an öffentlicher Förderung mangelte. Im Vergleich zu anderen, weniger häufigen Erkrankungen, wie z.B. Multiple Sklerose oder HIV/AIDS, liegt die ME/CFS-Forschung deshalb um vier Jahrzehnte zurück, wie ein Vergleich der wissenschaftlichen Publikationen durch die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS (externer Link) zeigt. Bis heute stehen für die Erforschung von ME/CFS nur vergleichsweise wenige Fördermittel zur Verfügung – nicht nur in Deutschland, sondern weltweit.
Die ME/CFS-Forschung in Deutschland und Österreich nimmt seit 2021/22 jedoch langsam Fahrt auf. Im Zuge der COVID-19-Pandemie wurde das Problem postinfektiöser Erkrankungen, v.a. des nicht selten auftretenden Long COVID bzw. Post-COVID-Syndroms, deutlich sichtbarer als zuvor. Bis zur Pandemie wurde die ME/CFS-Forschung ausschließlich privat finanziert. Seit 2021/22 werden erstmals öffentliche Fördermittel für die Erforschung von ME/CFS bereitgestellt, das oft als die schwerste Form des Post-COVID-Syndroms bezeichnet wird. Die dadurch zunehmende Forschungsintensität zeigt sich entsprechend in einer steigenden Anzahl an Forschungsprojekten (vgl. Teil 1 dieses Updates) sowie Fachpublikationen (vgl. Teil 7), die typischerweise zeitverzögert aus den Projekten folgen.
Mit Hilfe öffentlicher Fördermittel konnten sowohl neue Projekte als auch Verbundvorhaben zur Forschung aufgesetzt werden, wie z.B. das ME/CFS Register und Biobank und die Verbundvorhaben NKSG (Nationale Klinische Studiengruppe) und IMMME (Immune Mechanism of ME) (vgl. Teil 6). Die neu geschaffenen Forschungsprojekte und Verbundvorhaben, darunter auch klinische Studien zur Therapieentwicklung (vgl. Teil 4), bilden unter Beteiligung verschiedener Arbeitsgruppen (vgl. Teil 5) essentielle Grundlagen für den weiteren Ausbau der ME/CFS-Forschung. Dieser ist auch dringend geboten, angesichts der hohen und weiterhin zunehmenden Anzahl an Betroffenen (weit über 500.000 Menschen in Deutschland, davon über 80.000 Kinder (vgl. “Was ist ME/CFS?“ auf unserer Website). Die ersten 7 Teile des ME/CFS-Forschungs-Updates beleuchten den aktuellen Stand der Forschung, die v.a. in den letzten Jahren entstanden ist, aus verschiedenen Perspektiven (Forschungsprojekte, Forschungstypen, Forschungsbereiche, klinische Studien, Arbeitsgruppen, Forschungsnetzwerke, Publikationen). Über Verlinkungen zum ME/CFS Research Register lassen sich weitere Details zu den einzelnen Perspektiven aufrufen. Am Ende dieses Updates geben wir in Teil 8 einen kurzen Ausblick auf die absehbare Entwicklung der ME/CFS-Forschung in Deutschland und Österreich.
Teil 1: ME/CFS Forschung nimmt langsam Fahrt auf (veröffentlicht 01.03.2024)
Die Daten des ME/CFS Research Registers zeigen den deutlichen Anstieg der Forschungsintensität seit 2022. Die seitdem erstmals verfügbaren, öffentlichen Fördermittel für ME/CFS Forschung (auf Bundes- und teils auf Landesebene) haben eine Reihe zuvor nicht realisierbarer Projekte ermöglicht.

Die meisten der aktuell 42 laufenden Forschungsprojekte wurden in den Jahren 2022 und 2023 begonnen. Dazu zählen z.B. die 11 Projekte der NKSG – Nationale Klinische Studiengruppe im Bereich der klinischen Forschung sowie die fünf Projekte der IMMME – Immune Mechanism of ME Grundlagenforschung (finanziert durch das BMBF, Bundesministerium für Bildung und Forschung). Vier weitere Projekte wurden durch andere öffentliche Träger ermöglicht. Zusätzliche Forschung wird über private Stiftungen und Patientenorganisationen finanziert.
Bereits angekündigte öffentliche Fördermittel werden ab ca. Mitte 2024 weitere neue Forschungsprojekte und eine Fortsetzung laufender Initiativen, z.B. der NKSG, ermöglichen. Dadurch entsteht eine gute, aber auch längst überfällige Dynamik in der ME/CFS Forschung in Deutschland. Denn ME/CFS ist ein medizinisches Forschungsfeld, dass global betrachtet von einem erheblichen Rückstand (externer Link) im Vergleich zu anderen Erkrankungen gekennzeichnet ist. Das betrifft sowohl den Umfang verfügbarer Fördermittel als auch die Zahl der bisher aktiv beteiligten Forschenden und Arbeitsgruppen. Durch die wachsende Bedeutung postinfektiöser Erkrankungen im Zuge der COVID-19-Pandemie erfährt auch die ME/CFS-Forschung eine erhöhte Aufmerksamkeit und seit Ende 2021 vermehrt Förderung durch öffentliche Mittel.
Diese Entwicklung wird die ME/CFS Research Foundation mit dem öffentlich zugänglichen ME/CFS Research Register transparent machen und ergänzend regelmässig aktuelle Daten über die ME/CFS Forschung veröffentlichen. Neben der finanziellen Projektförderung ist das ein wichtiger Beitrag, um die ME/CFS Forschung zu unterstützen.
Teil 2: Wie verteilen sich die ME/CFS-Projekte auf unterschiedliche Forschungstypen? (veröffentlicht 28.03.2024)
In Deutschland und Österreich wurden bzw. werden insgesamt 61 Forschungsprojekte seit 2019 durchgeführt. Diese verteilen sich von der Anzahl her recht gleichmäßig auf die drei Forschungstypen (research types):
- Grundlagenforschung (24 Projekte)
- Epidemiologische Forschung (19 Projekte)
- Klinische Forschung (18 Projekte)
Dabei ist anzumerken, dass klinische Forschungsprojekte i.d.R. sehr viel höhere finanzielle Budgets erfordern als Grundlagen- oder epidemiologische Forschung. Betrachtet man die Forschungstypen aus Sicht der jeweils anfallenden Kosten, so machen Projekte im Bereich der klinischen Forschung anteilsmäßig den Großteil des finanziellen Aufwandes aus.
Von den 18 klinischen Forschungsprojekten sind neun Projekte in den Bereichen Diagnostik und Prognostik vertreten. Drei dieser Projekte sind bereits abgeschlossen. Weitere neun Projekte befassen sich mit der Erforschung möglicher Therapien von ME/CFS in Form von Therapie- oder Phase-II-Studien. Dazu zählen z.B. Studien zu Methylprednisolon, BC007, Hyperbare Sauerstofftherapie (HBOT), Vericiguat und mehrere Studien zu Immunadsorption. Aktuell sind alle klinischen Studien zur Therapieentwicklung noch im Prozess der Durchführung.

Im ME/CFS Research Register sind alle 61 Projekte detailliert beschrieben und mit den beteiligten Arbeitsgruppen, Forschenden und weiteren Informationen verlinkt. Alle Projekte sind Forschungstypen (research types) zugeordnet, die ebenfalls im Register erläutert werden. Zum Beispiel die hier differenzierten Subtypen klinischer Studien:
- Diagnostik-Studien zielen darauf ab, die Genauigkeit eines diagnostischen Tests oder einer Methode bei der Identifizierung einer Erkrankung zu bewerten. So können neue Biomarker auf ihre diagnostische Eignung untersucht werden.
- Prognostik-Studien hingegen untersuchen diagnostische Methoden mit Blick auf ihre Vorhersagekraft was eine Verbesserung oder Verschlechterung einer Erkrankung im Zeitverlauf oder nach einer Therapie betrifft. Über sie lässt sich ermitteln, welche Biomarker und Diagnosemethoden möglicherweise vorhersagen können, ob eine Therapie erfolgversprechend ist.
- Beobachtende Therapiestudien dienen dazu, erste Erkenntnisse zur Wirkung von Therapiemaßnahmen zu generieren. Therapie-Studien sind an die individuellen Bedürfnisse der Patient:innen angepasst und folgen keinem strengen Studienprotokoll.
- Interventionelle klinische Studien, z.B. sog. Phase-II-Studien, folgen einem strengen Protokoll und beinhalten auch Patient:innen, die mit einem Placebo behandelt werden, um Scheineffekte zu untersuchen. Phase-II-Studien umfassen zudem eine größere Anzahl von Patient:innen und bewerten die Wirksamkeit der Behandlung sowie mögliche Nebenwirkungen gemäß einem für alle Patient:innen einheitlichen Vorgehen.
Teil 3: Mit welchen medizinischen Themenbereichen befasst sich die ME/CFS-Forschung? (veröffentlicht 09.04.2024)
Ergänzend zur Verteilung der Projekte auf die Forschungstypen (research types), also Grundlagen-, epidemiologische und klinische Forschung (vgl. Teil 2 oben), werden alle Projekte im ME/CFS Research Register auch nach Forschungsbereichen (research areas) differenziert. Forschungsbereiche umfassen Organe, Körpersysteme und Gesundheitsfaktoren, die im Zusammenhang mit dem Auftreten von ME/CFS erforscht werden. Diese Zuordnung erlaubt die gezielte Suche von Forschungsprojekten im ME/CFS Research Register nach thematischen Schwerpunkten (z. B. “autoimmunity” oder “nervous system disorder”). Dabei ist zu beachten, dass Projekte i.d.R. mehreren Forschungsbereichen zugeordnet sind, wodurch sich eine Mehrfachzählung in der u.a. Auswertung ergibt (die Summe der Projekte in den Forschungsbereichen in der Abbildung ist deshalb höher als die 61 bisher im Register aufgeführten Forschungsprojekte).

Der Forschungsbereich Allgemein (general) ist mit 25 Projekten am häufigsten vertreten. “General” wird als Begriff vergeben, wenn sich die Forschungsarbeit nicht auf bestimmte Körper- oder Organsysteme beschränkt. Darunter fallen u.a. Projekte, die sich mit der Versorgung von Patient:innen (patient care), Biobanking (biobank), allgemeinen Risikofaktoren (risk factors) oder Untersuchungen von Proteom (proteomics) und Transkriptom (transcriptomics) befassen. Vor allem Projekte aus der epidemiologischen Forschung sind “general” zugeordnet (17 Projekte), neben Projekten aus der klinischen Forschung (3) und Grundlagenforschung (5). Wie oben beschrieben können einzelne Projekte gleichzeitig auch noch weiteren Forschungsbereichen zugeordnet sein.
Neben Allgemein (“general”) gehören die Forschungsbereiche immunologische Dysfunktion (immunological dysfunction) (17 Projekte, davon 11 in der Grundlagen- und 6 in klinischer Forschung) und kardiovaskuläre Dysfunktion (cardiovascular dysfunction) (14 Projekte) zu den in Deutschland und Österreich bisher am häufigsten untersuchten Bereichen in der ME/CFS-Forschung.
Forschungsprojekte befassen sich bisher außerdem mit der Rolle von Infektionen (infections), dem Einfluss eines gestörten Ernährungs- und Stoffwechselsystems (nutritional and metabolic system disorder) sowie Störungen des Nervensystems (nervous system disorder). Weniger Projekte befassen sich bisher mit Störungen des Blut- und Lymphsystem (hemic and lymphatic system disorder), der psychischen Gesundheit (mental health), einem gestörten Bewegungsapparat (musculoskeletal system disorder) oder genetischen Risikofaktoren (genetic risk factors) bei ME/CFS.
Im ME/CFS Research Register sind bisher 82 medizinische Forschungsbereiche gelistet. Die im Register verwendeten Begriffe wurden in Anlehnung an die MeSH-Terminologie (Medical Subject Headings) des National Institutes of Health (NIH) (externer Link) sowie basierend auf ausgewählter Literatur erstellt. Für jeden der zugeordneten Begriffe der Forschungsbereiche ist eine Kurzbeschreibung mit einem Verweis zur jeweiligen Quelle aufgeführt. Eine umfassende und systematische Übersicht der im ME/CFS Research Register verwendeten Forschungsbereiche und deren Zuordnung bzw. Hierarchie untereinander wird zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht.
Teil 4: Wann ist mit Ergebnissen der Therapie- und Phase-II-Studien zu rechnen? (veröffentlicht 16.04.2024)
Die Erforschung möglicher Behandlungsansätze, die auf die ME/CFS zugrunde liegenden Krankheitsmechanismen abzielen, ist von entscheidender Bedeutung für die langfristige Verbesserung der Versorgungssituation der Patient:innen. Bislang liegen nur sehr wenige Daten aus der Forschung in Form klinischer Studien zur Therapie von ME/CFS vor. Im Zuge des Auftretens von Long COVID bzw. Post-COVID-Syndrom wurden seit 2022 mehr finanzielle Mittel aus öffentlicher Hand zur Verfügung gestellt, um so auch das Wissen über mögliche Behandlungsansätze für ME/CFS zu erweitern.
Wie im obigen Teil 2 erläutert, werden in Deutschland derzeit neun klinische Studien zur Erprobung biomedizinischer Behandlungsansätze für ME/CFS umgesetzt. Fünf davon sind sog. Therapie-Studien. Weitere vier Studien sind sog. Phase-II-Studien, von denen drei im Rahmen des Forschungsverbundes Nationale Klinische Studiengruppe (NKSG) und eine als Teil des Forschungsverbundes COVID-19 Forschungsnetzwerk Niedersachsen (COFONI) durchgeführt werden. Die Ergebnisse dieser Studien werden ab Ende 2024 und überwiegend im Laufe des Jahres 2025 erwartet (siehe Abbildung).

Gegen Ende 2024 ist mit Ergebnissen der Phase-II-Studie zu Vericiguat (1: VERI-LONG) zu rechnen. Anfang 2025 folgen die Ergebnisse der Therapie-Studien zur wiederholten Immunadsorption (2: RIA) und zur transkraniellen Gleichstromstimulation (3: ACTIVATE), sowie die Ergebnisse der Phase-II-Studien zur Immunadsorption (4: IA-PACS-CFS) und zu Methylprednisolon (5: PoCoVIT). Mitte 2025 stehen die Ergebnisse einer weiteren Phase-II-Studie zur Immunadsorption (6: EXTINCT post COVID) an. Ende 2025 folgen Ergebnisse der Therapiestudien zur Hyperbaren Sauerstofftherapie (7: HBOT) und zur Immunadsorption mit jungen Patient:innen (8: BIAKI). Für die Therapiestudie zu BC007 (9: unCOVer) liegen noch keine Informationen zum geplanten Abschlussdatum vor. Anmerkung: diese geplanten Abschlusstermine sind als grobe Orientierung zu verstehen. Aus verschiedenen Gründen können die tatsächlichen Abschlusstermine von diesen Daten abweichen.
Bis Ende 2025 werden so voraussichtlich erste Daten zur Wirksamkeit von fünf potentiellen Therapien für ME/CFS vorliegen, darunter Ergebnisse aus drei Phase-II-Studien (randomisiert, placebo-kontrolliert). Um prüfen zu können, wie umfangreich und nachhaltig die untersuchten Verfahren und Medikamente ME/CFS-Betroffenen potenziell helfen können, bedarf es weiterer kontrollierter klinischer Studien mit einer größeren Anzahl von Proband:innen (Phase-II bis –III-Studien). Bei den klinischen Studien zur Therapieentwicklung, die im Rahmen der NKSG durchgeführt werden, sind aufgrund umfassender begleitender Diagnostik- und Biomarker-Studien zudem weiterführende Erkenntnisse zu erwarten.
Teil 5: Wie viele Arbeitsgruppen forschen zu ME/CFS? (veröffentlicht 25.04.2024)
An den ME/CFS-Forschungsprojekten sind insgesamt 39 Arbeitsgruppen (working groups) beteiligt, davon 35 in Deutschland und 4 in Österreich. Diese Arbeitsgruppen verteilen sich auf insgesamt 20 verschiedene Organisationen, darunter Universitäten, Universitätskliniken und Forschungszentren. Arbeitsgruppen in der medizinischen und wissenschaftlichen Forschung (auch genannt Labore oder “Labs”) sind Gruppen von Personen, die unter der Leitung von Expert:innen auf ihrem Gebiet zu bestimmten Themen forschen und an mindestens einer Organisation (z.B. Universitätsklinik) verortet sind.

In Deutschland sind 18 der 35 Arbeitsgruppen, die sich mit ME/CFS-Forschung beschäftigen, an der Charité – Universitätsmedizin Berlin und angeschlossenen Forschungseinrichtungen angesiedelt. Dazu zählen das Berliner Institut für Gesundheit (BIH) und das Max-Delbrück-Centrum (MDC). Weitere Arbeitsgruppen sind beim Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), der Berlin School of Mind and Brain, dem Helmholtz München und dem Max-Planck-Institut in Erlangen angesiedelt. Die übrigen Gruppen sind an den Universitätskliniken in Aachen, Erlangen, Freiburg, Lübeck und München sowie an den Universitäten in Heidelberg, München, Regensburg und Würzburg angesiedelt.
Von insgesamt vier Arbeitsgruppen, die sich in Österreich mit der Erforschung von ME/CFS befassen, sind zwei an der Medizinischen Universität Wien und je eine an der Medizinischen Universität und der FH Joanneum in Graz angesiedelt.
Alle an ME/CFS forschenden Arbeitsgruppen (working groups) sind mit Beschreibung und Verlinkung auf die einzelnen Forschungsprojekte im ME/CFS Research Register hinterlegt.
Teil 6: Wie sind die Arbeitsgruppen der ME/CFS Forschung untereinander vernetzt? (veröffentlicht 22.05.2024)
Sog. Forschungsnetzwerke (research networks) spielen in der ME/CFS Forschung in Ergänzung der oben beschriebenen Arbeitsgruppen eine entscheidende Rolle. Diese Forschungsnetzwerke sind Verbünde oder Konsortien mehrerer Arbeitsgruppen, die etabliert wurden, um kooperativ und auf Basis einer gemeinsam Finanzierung Forschung speziell zu ME/CFS zu betreiben (als ganzer oder teilweiser Fokus). Bisher haben sich drei deutsche Forschungsnetzwerke etabliert:

Die Nationale Klinische Studiengruppe (NKSG) und das Forschungsnetzwerk Immune Mechanisms of ME (IMMME) wurden beide im Jahr 2022 gegründet und sind durch Förderungen des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) finanziert. Sie konzentrieren sich auf die klinische Forschung (NKSG) bzw. Grundlagenforschung (IMMME) zu ME/CFS mit insgesamt 16 derzeit laufenden Forschungsprojekten. Das vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur geförderte COVID-19-Forschungsnetzwerk Niedersachsen (COFONI) führt derzeit eine klinische Studie zu ME/CFS durch (Link), erforscht aber auch nicht ME/CFS-bezogene Aspekte.
In Österreich sind bisher keine vergleichbaren Forschungsnetzwerke entstanden.
In naher Zukunft könnten in Deutschland weitere Forschungsnetzwerke eingerichtet werden. Denn durch die im September 2023 angekündigte BMBF Zusatzfinanzierung i.H.v. 15 Mio. € über 3 Jahre (externer Link) werden einige neue ME/CFS Forschungsprojekte entstehen, die gemäß der BMBF Förderrichtlinie in interdisziplinären Verbünden organisiert werden sollen. Sobald zu diesen Projekten und Forschungsnetzwerken Informationen vorliegen, werden diese im ME/CFS Research Register entsprechend aufgenommen. Wir werden darüber zu gegebener Zeit berichten.
Teil 7: Wie viele Fachpublikationen wurden zu ME/CFS in Deutschland und Österreich bisher veröffentlicht? (veröffentlicht 5.6.2024)
Das ME/CFS Research Register weist aktuell 101 wissenschaftliche Veröffentlichungen aus, die seit 2010 bis Mai 2024 von Forschenden und Mediziner:innen in Deutschland und Österreich veröffentlicht wurden. Dabei ist ein klarer Aufwärtstrend bei der Zahl der veröffentlichten Artikel und medizinischen Leitlinien zum Thema ME/CFS erkennbar.

Die Zahl der Publikationen zu ME/CFS ist seit 2020 deutlich gestiegen, parallel zur steigenden Bekanntheit der Erkrankung und dem wachsenden medizinischen Bedarf, der sich aus postakuten Infektionssyndromen ergibt. Dieser Trend wird sich auch 2024 und danach weiter fortsetzen, angesichts der zunehmenden Anzahl von Forschungsprojekten und beteiligten Forschenden.
Viele veröffentlichte Fachartikel beschreiben die Ergebnisse von zuvor durchgeführten Forschungsprojekten und klinischen Beobachtungen. Ergänzend gibt es eine Reihe von Veröffentlichungen, die als sekundäre Forschung kategorisiert werden (z. B. Artikel, die eine Hypothese skizzieren oder den aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand zusammenfassen). Diese Beiträge liefern wertvolle Einblicke und wichtige Ergänzungen zur Veröffentlichung von Ergebnissen aus Grundlagen-, epidemiologischen oder klinischen Forschungsprojekten.

Betrachtet man die insgesamt 101 Publikationen seit 2010 nach Forschungstypen (research types, vgl. Teil 2 zur Erklärung), sind 15 davon der Grundlagenforschung zuzurechnen. 15 Publikationen zählen zur klinischen Forschung, 36 zur epidemiologischen Forschung sowie eine weitere zu beiden Typen (klinisch und epidemiologisch). Zu Ergebnissen der Sekundärforschung sind 34 Publikationen erschienen, darunter medizinische Leitlinien, narrative und systematische Übersichtsarbeiten sowie Hypothesen- und Meinungspapiere.
Alle Publikationen im ME/CFS Research Register sind mit den wichtigsten Autor:innen sowie ggf. zugrundeliegenden Forschungsprojekten verknüpft und mit weiteren Informationen verlinkt. Die Liste der Publikationen im MRR wird laufend aktualisiert.
Teil 8: Zusammenfassung und Ausblick (veröffentlicht 12.09.2024)
Zusammenfassung: Wo steht die ME/CFS-Forschung heute?
Gegenstand der ME/CFS-Forschung in Deutschland und Österreich sind alle Typen der medizinischen Forschung, darunter Grundlagenforschung, epidemiologische Forschung und klinische Forschung. Die Anzahl der Projekte verteilt sich nahezu gleichteilig auf diese drei Bereiche (vgl. Teil 2). Von allen Forschungstypen hat die klinische Forschung bisher den größten Anteil an Fördermitteln erhalten. Denn vor allem klinische Studien sind meist sehr viel kostenintensiver als Studienvorhaben in der Grundlagen- oder epidemiologischen Forschung.
Forschende und Medizinerinnen in beiden Ländern haben zudem eine Reihe wissenschaftlicher Veröffentlichungen hervorgebracht, die der Sekundärforschung zugeordnet sind. Parallel zur Entwicklung der Forschungsprojekte ist so zuletzt auch die Anzahl der Fachpublikationen zu ME/CFS angestiegen und umfasst derzeit mehr als 100 Fachartikel und medizinische Leitlinien, die seit 2010 mit Beteiligung von Autor:innen in Deutschland und Österreich erschienen sind (vgl. Teil 7 sowie die Liste der Veröffentlichungen im ME/CFS Research Register).
Klinische Forschung wird bisher nur in Deutschland umgesetzt, darunter Diagnostik- und Prognostik-Studien sowie beobachtende Therapiestudien und interventionelle klinische Studien in Form von Phase-II-Studien. Die beiden letzteren Arten klinischer Studien (Therapie- und Phase-II-Studien) sind insbesondere für die Entwicklung potenzieller Therapiemaßnahmen der zugrundeliegenden Krankheitsmechanismen relevant. Diese klinischen Forschungsprojekte fokussieren sich bisher auf sog. “Repurposing”. Sie erproben Medikamente oder Therapieansätze, die bereits für andere Erkrankungen zugelassen sind, hinsichtlich ihrer Wirksamkeit bei ME/CFS. Die Ergebnisse der aktuell laufenden neun klinischen Studien zur Erprobung von Behandlungsansätzen werden ab Ende 2024 bis Ende 2025 erwartet (vgl. Teil 4).
Die Forschungsbereiche, d.h. die thematischen Fragestellungen, mit denen sich die ME/CFS-Forschungsprojekte in Deutschland und Österreich bisher beschäftigen, decken unterschiedliche Aspekte der Krankheitsentstehung und Krankheitsmechanismen ab. Vor allem die Rolle des Immunsystems, Fehlfunktionen des kardiovaskulären Systems, der Einfluss von Infektionen, sowie Störungen des Stoffwechselsystems und des Nervensystems stehen bei Projekten in der Grundlagen- und klinischen Forschung im Mittelpunkt der Untersuchungen. Für den Bereich der epidemiologischen Forschung stellt vor allem die Versorgung der Patient:innen einen zentralen Forschungsgegenstand dar (vgl. Teil 3).
Die Forschungslandschaft, d.h. die beteiligten Gruppen von Wissenschaftler:innen und Mediziner:innen sowie deren Einrichtungen und Organisationen (wie z.B. Universitätskliniken und Forschungszentren) setzt sich nach wie vor aus nur wenigen Akteur:innen zusammen. Stand Juni 2024 sind in Deutschland und Österreich insgesamt 39 Arbeitsgruppen in der ME/CFS-Forschung aktiv (vgl. Teil 5). Ballungszentrum der ME/CFS-Forschung ist mit großem Abstand die Charité – Universitätsmedizin Berlin, an der sich insgesamt 18 Arbeitsgruppen bei ME/CFS-Forschungsprojekten beteiligen. Hinzu kommen Arbeitsgruppen in Städten wie z.B. Erlangen, München, Bonn oder Lübeck. In Österreich geht die ME/CFS-Forschung bisher vor allem von je zwei Arbeitsgruppen in Wien und Graz aus.
In Deutschland sind für die ME/CFS-Forschung insbesondere zwei gesondert finanzierte Forschungsnetzwerke relevant; die NKSG für den Bereich der klinischen Forschung und IMMME für den Bereich der Grundlagenforschung. In beiden Netzwerken findet eine Kooperation einzelner Arbeitsgruppen aus ganz Deutschland statt. Ein Studienvorhaben im Rahmen von COFONI in Niedersachsen setzt sich ebenfalls mit ME/CFS auseinander (vgl. Teil 6).
Ausblick: Wie wird sich die ME/CFS-Forschung in naher Zukunft entwickeln?
Ende 2023 wurden in Deutschland weitere öffentliche Fördermittel für die ME/CFS- und Post-COVID-Syndrom-Forschung angekündigt. Aktuell wird in Vergabeverfahren entschieden, wer von den Antragstellenden eine Förderzusage erhält. Noch in diesem Jahr soll bekanntgegeben werden, welche weiteren ME/CFS-Forschungsnetzwerke und -projekte in den nächsten Jahren gefördert werden. Im Einzelnen handelt es sich dabei um:
- 15 Millionen € Richtlinie des BMBF zur Förderung interdisziplinärer Verbünde zur Erforschung der Pathomechanismen von ME/CFS in Deutschland (vgl. unsere Einordnung und Kommentierung). Dank dieser Finanzierung werden, wie in Teil 1 skizziert, noch in diesem Jahr voraussichtlich 15-20 neue Projekte im Rahmen mehrerer Forschungsverbünde ihre Arbeit beginnen.
- Mit der in 2025 beginnenden zweiten Förderphase der NKSG werden darüber hinaus zeitnah weitere klinische Studien zur Therapieentwicklung in Deutschland auf den Weg gebracht werden. Mit den entsprechenden Ankündigungen ist in den nächsten Monaten zu rechnen.
- Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) fördert die Versorgungsforschung zu Post-COVID-Syndrom und ME/CFS in Deutschland bis Ende 2028 mit insgesamt rund 150 Mio. € (externer Link). Die Ankündigungen der daraus entstehenden Versorgungsforschungsprojekte (externer Link) werden in den nächsten Monaten erwartet.
- Auch einzelne Bundesländer stellen weitere Förderbudgets bereit, so z.B. in Thüringen (externer Link) und Bayern.
- In Österreich steht u.a. im Oktober 2024 der Förderbescheid zur Ausschreibung “Understanding ME/CFS Open Call 2024” (externer Link) an. Gegenstand der Ausschreibung sind Projekte, die sich mit Krankheitsmechanismen, Diagnostik und/oder Therapie von postakuten Infektionskrankheiten mit dem Kardinalsymptom PEM (Post-Exertionelle Malaise) und somit hauptsächlich mit ME/CFS befassen.
Zudem sind in den letzten Jahren auch neue private Stiftungen aktiv geworden, z.B. die ME/CFS Research Foundation in Deutschland (vgl. dazu unser Halbjahresreport Sommer 2024) und die WE&ME Stiftung (externer Link) in Österreich. Deren Engagement und Mittel ergänzen die öffentliche Förderung. Die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS hat in 2023 ebenfalls ein Forschungsprogramm (externer Link) etabliert. Seit 2018 fördert zudem die gemeinnützige Weidenhammer Zöbele Stiftung die ME/CFS-Ambulanzen sowie Forschung an der Charité – Universitätsmedizin Berlin und am Universitätsklinikum der TU München (MRI TUM). Die Lost Voices Stiftung finanziert bereits seit 2017 Forschungsstipendien (externer Link).
Die ME/CFS Research Foundation wird ausführlich über die neuen Förderprojekte und Verbundvorhaben aus den o.g. Richtlinien informieren und entsprechende Projekte in das ME/CFS Research Register aufnehmen, sobald nähere Informationen verfügbar sind.
In den letzten drei Jahren konnte die ME/CFS-Forschung wichtige Fortschritte machen. Mit der jüngsten Zunahme von öffentlichen Fördermitteln, in Verbindung mit dem finanziellen Engagement privater Stiftungen, gehört insbesondere Deutschland im internationalen Vergleich mittlerweile zu den führenden Ländern, was die Erforschung von ME/CFS betrifft.
Ein solcher „Aufbruch“ stimmt optimistisch. Er ist angesichts der hohen Anzahl von Betroffenen jedoch auch dringend erforderlich und in Anbetracht des nach wie vor großen Aufholbedarfs der ME/CFS-Forschung im Vergleich zu ähnlich schweren und zugleich weniger häufigen Erkrankungen dringend geboten.
Wie kann man die Arbeit der ME/CFS Research Foundation unterstützen?
Diese Zusammenstellung von Forschungsdaten ist ebenso wie das ME/CFS Research Register ein kostenloser Service der ME/CFS Research Foundation für ME/CFS-Betroffene, Angehörige, Forschende, Mediziner:innen und die breite Öffentlichkeit.
Vor uns liegt noch ein weiter Weg bis Diagnose, Versorgung und Therapie von ME/CFS Betroffenen eines Tages medizinischer und sozialer Standard werden. Wir als ME/CFS Research Foundation fokussieren uns auf die biomedizinische Forschung, in der wir das Schlüsselelement zur Lösung dieser Probleme sehen (mehr dazu in unserer Förderstrategie und im Halbjahresbericht, der unsere Aktivitäten zusammenfasst). Dafür brauchen wir umfassende Unterstützung von privaten Spendenden – Betroffene, Angehörige, Familien, Freunde, Vereine, Schulen, Netzwerke, Unternehmen, Initiativen, Veranstaltende und alle Unterstützenden. Und wer nicht direkt fördern kann, kann unsere Story teilen und so andere motivieren zu helfen. Denn nur gemeinsam ist so ein Kraftakt möglich.
Wir überführen Spenden und sonstige Unterstützung vollständig in wissenschaftlich exzellente Forschung, Vernetzung der Forschenden und schließlich sichtbare Erfolge, d.h. bessere Diagnostik und Therapien. Dabei arbeiten wir mit anderen Organisationen und Initiativen gerne zusammen – kommen Sie auf uns zu!
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